Überflutet, abgeschnitten, nachdenklich. Einsichten aus der Flut vom Berg.
“It’s over when it’s over”.
Open Space Principle
Es ist was anderes, wenn man von überspülten Strassen, abgegangenen Berghängen und Toten liest – oder selbst im Zentrum der Katastrophe auf einem Berg sitzt und nicht herabkommt.
So geschehen letzte Woche auf dem Agile Coach Camp im Steinschaler Dörfli in Österreich, 730m Höhe, in mitten der Flutkatastrophe in Österreich: Der seit Freitag intensiv abgehende Dauerregen hat eine Abreise am Sonntag unmöglich gemacht. Die eine Seite des Berges einen halben Meter mit Wasser der Pielach überspült, die Strasse der andere Seite durch einen Bergrutsch weggerissen. Katastropenalarm, die Feuerwehr im Retten-Leben-Modus. Wettervorhersage: Weiterer Dauerregen bis Donnerstag(!). (Jetzt ist Sonntag)
Eingeschlossen.
Interessant, zu sehen was das mit einem macht.
Zunächst: Beklemmung, Angst, Sorge, grosse Unsicherheit, Unfähigkeit die Situation zu beeinflussen; unsichere Informationen, keine absehbare Verbesserung: was kommt als nächstes? Fällt der Strom aus? Haben wir Essen? Heizung? Sauberes Wasser?
Das im Tal gerade Menschen um Hab und Gut – und einige um Ihr Leben kämpfen, kommt langsam in mein Bewusstsein zurück. Hilfreich, Dinge in Perspektive zu setzen:
Erkenntnis 1: Dinge in Perspektive setzen
Im Vergleich zu anderen, geht es mir gut. Vorräte für 14 Tage+, ein warmes Bett auf dem Berg, Trinkwasserversorgung aus eigenen Zisternen, zusammen mit anderen Menschen aus der eigenen, lösungsfokussierten Profession.
Wenn eingeschlossen, dann am liebsten mit Euch
Ralph Miarka
“Wenn eingeschlossen, dann am liebsten mit Euch” sagt Ralph und bringt es für mich auf den Punkt.
Erkenntnis 2: Lass zu, was Du nicht beeinflussen kannst.
Mir fällt Gaur Gopal Das ein: Hab ich ein Problem? Ja. Kann ich was dagegen machen? Nein. Also: warum dann sorgen?
Die Akzeptanz der Dinge, die man nicht beeinflussen kann schafft dann Raum für die Dinge, die man beeinflussen kann. Ich parke daher erstmal mein Auto um – und lade meine Geräte. Und dann mach ich das, was man auf einem Agile Coach Camp so halt macht: Austausch! Sessions geben – und auch besuchen. Zufall oder nicht: Markus Wissekal’s und Katrin Bernreiter’s “Oracle & Seeker” Session ist dann auch die Session des Camps für mich: Ein wunderbares Format, um Bedeutung aus der Fülle von Informationen zu finden.
An Information in unserer Situation mangelts allerdings. Verständlicherweise. Die Katastrophe ist grossflächig. Ein Damm in Polen bricht, ein anderer in Österreich läuft über. Es gibt Tote im Tal. Informationen gibt es viele, allerdings keine verlässlichen. Die Lage ist unübersichtlich – und es regnet weiter.
Die nächste Erkenntnis kam durch den klaren und eindeutigen Kommunikationsstil von Georg. Selbst Teilnehmer im Camp und Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr hat er durch den Kontakt zu seinem Kommandanten ein besseres Lagebild vor Ort als wir oben auf dem Berg. Auch wenn er nicht viel mehr weiss, so gibt er in der Unsicherheit klare Aussagen.
“Strassen sind unpassierbar. Niemand reist ab und ‘fährt schauen’, denn das wird lebensgefährlich – für sich und für die Einsatzkräfte. Feuerwehren priorisieren momentan “Leben retten” über alles andere. Wir warten hier.”
Für mich hält das gleich zwei Einsichten bereit:
Einsicht 3: Klare Aussagen auch in unklaren Situationen
Sag wie es ist; sag was Du weisst; geb Sicherheit durch Rahmenbedingungen; sprich klar und halte Dich kurz.
und: appelliere an
Einsicht 4: Geduld und Zuversicht
Die Einsichten oben sorgen dann (zumindest bei mir) für Geduld und Zuversicht. Bei mir hängt kein Leben davon ab, wann ich vom Berg runterkomme. Ganz im Gegenteil, andere haben Hilfe jetzt viel nötiger.
Apropro: Hier der Spendenaufruf für die Opfer der Flutkatastrophe
“It’s over when it’s over.”
Georg war es dann auch, der mir meiner Insight-Timer Session gesagt hat, das wir heute wahrscheinlich ein zwei Stunden Fenster haben um den Berg zu verlassen.
Bemerkenswert fand ich dann noch, wie wir sichergestellt haben, das jeder der will, sich auf den Weg nach Hause machen kann – und niemand trotz weggespülten Strassen und gesperrten Bahnlinien strandet.
Einsicht 5: Selbstorganisation braucht ein Ziel, Transparenz und einen Rahmen
Wer, wenn nicht die Teilnehmer selbst können entscheiden wer wohin muss, wer mit wem kann und wann es los geht. Bei der geordneten Abreise vom Steinschaler Dörfli haben wir keine Listen zum Eintragen genutzt – sondern eine grosse Aufstellung:
Wer Platz im Auto hat, zeigt das an, wer mitfährt geht zum Fahrer. Wer keine Mitfahrgelegenheit hat, macht das sichtbar – zusammen mit seinem Reiseziel. So finden sich um die 90 Menschen innerhalb von wenigen Sekunden zu Fahrgemeinschaften zusammen. (ich kann garnicht anders, als mich an meinen Artikel zur Selbstorganisation zu erinnern)
Und so geht es für mich, Chris und Sabina in eben diesem Zweistundenfenster den Berg hinab durchs Tal, nach Hause. Nach 9 Stunden Fahrt – immer noch im Regen – war ich zurück in Landsberg. Eine Fahrt mit viel Wasser. Und einigen Einsichten.
(Bildquelle: heute.at)